Ausgestaltung eines Sozialplanes unter Berücksichtigung der Besonderheiten rentennaher Jahrgänge

Sozialplan und rentennahe Jahrgänge, hier leeres Büro mit langem Besprechungstisch und Bürostühlen
Anhand eines Fallbeispiels wird aufgezeigt, was ein Sozialplan für rentennahe Jahrgänge leisten kann und darf.

Anhand eines Fallbeispiels, hier eine Betriebsstilllegung, zeigt dieser Artikel auf, wie ein Sozialplan ausgestaltet werden kann, was er leisten kann und darf und welche Meinung das LAG Nürnberg zur Klage gegen die Maßnahme der Kürzung der Abfindung für die rentennahen Jahrgänge vertritt.

Ein Fallbeispiel

In dem diesem Artikel zu Grunde liegenden Fall handelt es sich um ein Unternehmen mit 120 Mitarbeitern sowie einem Jahresumsatz in Höhe von circa 20 Mio. Euro. Das Unternehmen ist „alteingesessen“, gehört einer Unternehmensgruppe an und hat einen Betriebsrat. Im Rahmen einer solventen Liquidation wurde für das betroffene Unternehmen eine „Betriebsstilllegung“ beschlossen.

Nach Verhandlungen mit dem Betriebsrat konnten sich die Parteien auf einen Interessenausgleich und Sozialplan einigen. Im Rahmen des Sozialplanes wurden Zahlungen von Abfindungen an Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis zu beenden war, zur Minderung von Nachteilen vorgesehen.

Berechnung der Abfindungen

Als Basis zur Ermittlung des grundsätzlich zur Verfügung stehenden Volumens für Abfindungszahlungen dienten die Summe der Monatslöhne und -gehälter sowie die Betriebszugehörigkeit der Mitarbeiter. Verhandelt wurde in den Verhandlungen über den Sozialplan zunächst die Formel, nach der die Berechnung der Abfindungen erfolgen sollte. Die Betriebsparteien diskutierten zunächst eine Berechnung der Abfindungen nach der Formel „Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsverdienst x Faktor“.

Nach ersten Berechnungen ergab sich folgende Kurve:

Abfindung vor Gewichtung durch den Sozialplan

Getrieben durch zunehmende Betriebszugehörigkeit älterer Mitarbeiter ergab sich die typische Verteilung. Junge Mitarbeiter, die Familien gegründet haben, liegen in der Höhe der Abfindung weit unter denen, die auf Grund ihrer Betriebszugehörigkeit und ihres Alters bereits kurz vor dem Rentenbezug stehen und somit im Grunde genommen versorgt sind.

Neuberechnung nach Verhandlungen mit dem Betriebsrat

Durch weitergehende Verhandlungen mit dem Betriebsrat konnte folgende Einigung erzielt werden:

  1. Einziehen einer grundsätzlichen Kappungsgrenze
  2. Rentennahe Jahrgänge (Alter 62+) erhalten 25% der über die Betriebszugehörigkeit ermittelten Abfindung; zusätzlich Kappungsgrenze 50% der Grenze unter 1.
  3. Pro Kind erhält der Mitarbeitende € X
  4. Pro Grad einer Schwerbehinderung erhält der Mitarbeitende einen Betrag von € Y
  5. Es gibt einen Härtefonds für Mitarbeitende, die sich darum bewerben.

Nachdem diese Faktoren in die Berechnung mit eingeflossen sind, ergibt sich folgendes Bild:

Betriebsrat

Deutlich erkennbar wird hier, dass die Höhe der Abfindungen im Durchschnitt der über 62 jährigen von 1,6% auf etwas über 0,4% des Gesamtvolumens sinken. Dies zu Gunsten der anderen Altersgruppen. Die Verteilung auf die der Einigung zu Grunde liegenden Faktoren ergibt sich wie folgt:

Zusammensetzung Volumen der Altersgruppen aus der Gewichtung

Hier wird sichtbar, dass die Gruppe der 20- bis 49-jährigen maßgeblich von dem Kinderbonus profitiert. Weiterhin aber auch erkennbar, dass die Gruppe der 50- bis 61-jährigen, die insoweit nicht rentennah sind und auf dem Arbeitsmarkt weitgehend schwer vermittelbar sind, im Durchschnitt keine Einbußen in Kauf zu nehmen haben.

Reduzierung der Abfindungen rechtens?

Nun stellt sich die Frage, ob die Reduzierung der Abfindungen der rentennahen Jahrgänge geltendem Recht entspricht, oder ob sie in der durchgeführten Weise unzulässig sind.

In der Durchführung des gesamten Sozialplanes hat es eine Klage gegeben. Diese Klage bezog sich auf die Maßnahme der Kürzung der Abfindung auf 25% für die rentennahen Jahrgänge. Es wurde der Vorwurf der „ungerechtfertigten Altersdiskriminierung“ erhoben; diese Kürzung sei nicht verhältnismäßig, da nicht an die tatsächliche Bezugsmöglichkeit einer gesetzlichen (Voll-)Altersrente angeknüpft werde.

Erstinstanzlich wurde durch das Arbeitsgericht unter Bezugnahme auf § 7 Abs.1, § 10 S.3 Nr.6 Alt. 2 AGG festgestellt, dass § 3 Abs. 2 des Sozialplanes (25% Regelung für rentennahe Jahrgänge) keine ungerechtfertigte Altersdiskriminierung darstellt.

Differenzierungen von Leistungen in Sozialplänen

Nach § 10 S.3 Nr.6 Alt. 2 AGG sind Differenzierungen von Leistungen in Sozialplänen zulässig, wenn Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplanes ausgeschlossen sind, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, ggfs. nach Bezug von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind.

Wer gilt als rentenberechtigt?

Als rentenberechtigt anzusehen sind dabei nicht nur die Arbeitnehmer, die nach Ablauf des ALG-I-Bezuges einen Anspruch auf Gewährung einer ungeminderten Altersrente wegen Erreichens der Regelaltersgrenze haben. Auch diejenigen, die die Möglichkeit haben, eine Altersrente vorzeitig in Anspruch zu nehmen, gehören zu dieser Gruppe (BAG Beschl. V. 07.05.2019 – 1 ABR 54/17).

Kläger: Regelung altersdiskriminierend

Im vorliegenden Fall ging der Kläger gegen das Urteil des Arbeitsgerichts in Berufung, da er der Ansicht war, dass die Regelung des Sozialplanes altersdiskriminierend und auch nicht nach § 10 Satz 3 Nr.6 AGG gerechtfertigt sei. Dieser sei nur anwendbar für den Fall, dass die Betroffenen wirtschaftlich abgesichert seien.

Gemäß § 10 Satz 2 AGG unterliege die gewählte Sozialplangestaltung einer zusätzlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung, da die Interessen benachteiligter Gruppen nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt werden dürfen. Der Kläger ist weiterhin der Auffassung, dass die angewendete Regelung nicht rechtens ist, da er zum einen nicht nach Bezug des ALG I eine ungekürzte Rente erhält und zum anderen, dass seine Rente ohnehin sehr niedrig sei.

Verbesserung der Verteilungsgerechtigkeit

Die Beklagte verblieb bei ihren Ausführungen und führte aus, dass das in § 10 Satz 3 Nr. 6 2. Alternative AGG verfolgte Ziel die Verbesserung der Verteilungsgerechtigkeit zugunsten jüngerer Arbeitnehmer und nicht die tatsächliche wirtschaftliche Absicherung rentennaher Arbeitnehmer sei. Die stärkere Orientierung von Sozialplanleistungen rentennaher Arbeitnehmer an den tatsächlich eintretenden, das heißt geringeren, oder gar keinen Nachteilen, sei letztlich Mittel zum Zweck der Verteilungsgerechtigkeit, nicht aber Selbstzweck bzw. Ziel des § 10 Satz 3 Nr. 6 2. Alternative AGG. Die zur Erreichung dieses Zwecks eingesetzten Mittel seien vorliegend angemessen und erforderlich.

LAG Nürnberg weist Klage zurück

Das LAG Nürnberg weist mit seinem Urteil 8 Sa 164/22 die Berufung des Klägers zurück und begründet wie folgt:

Ein Sozialplan ist eine Einigung der Betriebsparteien, die Betriebspartner verfügen über einen weiten Gestaltungsspielraum und dies auch bei der Festlegung von Maßnahmen zur Erreichung eines Ziels (BAG Urteil vom 16.07.2019 Az.1AZR 842/16). Es gilt hier ein begrenztes Volumen eines Sozialplanes zu verteilen.

Die Parteien müssen die zur Verfügung stehenden Mittel optimieren und darauf achten, dass keine Gruppe übermäßig bevorzugt wird. Ob und welche Nachteile ausgeglichen und welche lediglich gemildert werden sollen, liegt ebenfalls im Ermessen der Betriebsparteien (BAG-Beschluss vom 7.5.2019 Az. 7ABR 54/17).

Was ein Sozialplan leisten kann und darf

Es wird in diesem Urteil nochmals ganz klar darauf verwiesen, dass ein Sozialplan nicht notwendigerweise möglichst alle Nachteile ausgleichen und alle denkbaren Nachteile entschädigen muss; er darf allerdings nicht den Normzweck des § 112 Abs.1 Satz 2 BetrVG verfehlen, die wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer zumindest substantiell zu mildern (BAG Beschluss vom 7.5.2019 a.a.O.).

Weiterhin interessant auch die Feststellung in der Begründung, dass die Abfindung in Sozialplänen weder ein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit geleistete Tätigkeit, noch eine Kompensation für den Arbeitsplatzverlust darstellt, sondern ausschließlich eine Überbrückungshilfe ist bis zu einer wirtschaftlichen Absicherung (BAG Urteil vom 16.7.2019 a.a.O.; Urteil vom 23.10.2010, Az. 1 AZR 832/08).

Rentennahe Arbeitnehmer stärker abgesichert

In der Begründung des Urteils geht das LAG darauf ein, dass im Regelfall rentenberechtigte und rentennahe Arbeitnehmer wirtschaftlich stärker abgesichert sind als rentenferne Arbeitnehmer. Es handele sich hier um eine im Rahmen ihres Beurteilungsspielraumes tatsächliche Einschätzung der Betriebsparteien (BAG Urteil vom 20.1.2009 Az. 1AZR 740/07). Die Betriebsparteien sind nicht gehalten, Rentenabschläge auszugleichen. Es genügt grundsätzlich eine substantielle Milderung der wirtschaftlichen Nachteile (BAG Urteil vom 20.1.2009, a.a.O. Beschluss vom 24.8.2004, Az. 1ABR 23/03).

Freiraum der Betriebsparteien

Somit wird den Betriebsparteien im Rahmen dieser Grenzen der Freiraum geschaffen, über die vorhandenen, in diesem Fall begrenzten, Mittel zu verfügen. Die Beurteilung, welche Gruppen in welcher Weise gestärkt werden sollen, auf Kosten anderer, obliegt im Großen und Ganzen den Betriebsparteien.

Sozialplan und Rentenansprüche

Es wird weiterhin darauf verwiesen, dass die relativ gesehene vorzeitige Altersversorgung und die spätere Altersrente, so sie denn gering ausfällt, die Regelung des Sozialplanes nicht unverhältnismäßig macht, da die Altersrente aus den insgesamt entrichteten Beiträgen über das ganze Berufsleben des Arbeitnehmers besteht und individuell sehr unterschiedlich sein kann.

So führt auch das LAG Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 10.03.2011 Az 10 Sa 547/10 aus:
„Die Höhe der sich im Einzelfall ergebenden Ansprüche ist für die Wirksamkeit eines Sozialplanes jedoch ohne Bedeutung“.

Das LAG Nürnberg ließ die Revision nach § 72 Abs.1 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zu.

Was nehmen wir aus diesem Fallbeispiel für die Praxis mit?

Zwischenzeitlich hat der Kläger sich auch gegen das Urteil des LAG Nürnberg gewendet und Revision zum Bundesarbeitsgericht eingelegt. Inwieweit das BAG anders urteilt, dies zu prognostizieren, wäre reine Spekulation.

Aber dennoch zeigt dieses Beispiel, dass gerade bei dieser Thematik sehr fein abgewogen und möglichst gut differenziert werden sollte. Wenn möglich, alle Einzelfälle so weit zu prüfen, wie es die Faktenlage erlaubt und möglichst einvernehmliche, von beiden Parteien getragene Lösungen zu finden und durchzusetzen. Eine gute Kommunikation zwischen den Parteien ist unabdingbar.

Autorin: Elke Hüttker, Geschäftsführerin der ETH Consulting GmbH. Sie ist seit 2005 als Beraterin und Interim Managerin in der Restrukturierung, Sanierung und solventen Liquidation tätig. Seit 2020 ist sie Mitglied in der Fachgruppe Sanierung und in der Fachgruppe Unternehmensnachfolge im Bundesverband “Die KMU-Berater”.

KMU-Berater Elke Hüttker