Forderung zum Erhalt des ermäßigten Steuersatzes von 7% zur Abgabe von Speisen im Gastgewerbe

Dr. Hartmut Meyer

Offener Brief vom 20. September 2023 an das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Herrn Bundesminister Dr. Robert Habeck.

Sehr geehrter Herr Bundesminister Dr. Habeck,  

die KMU-Berater – Bundesverband der freien Berater e. V. und seine Mitglieder sind engagierte Partner für mittelständische Unternehmen, die durch qualifizierte, unabhängige und professionelle Beratung auf verschiedenen Ebenen unterstützt werden. Aufgrund unserer engen Verbindung zur mittelständischen Wirtschaft verstehen wir uns als Sprachrohr für zahlreiche Unternehmer. Aktuell beraten viele unserer Mitglieder Unternehmen im Gastgewerbe, um ihnen in den folgenden Bereichen zur Seite zu stehen: Bewältigung der aktuellen wirtschaftlichen Lage, Steigerung der Nachhaltigkeit und Umgang mit dem Fachkräftemangel. Dieses Schreiben konzentriert sich auf das Gastgewerbe, um unsere Besorgnis hinsichtlich seiner Zukunftsfähigkeit zum Ausdruck zu bringen.

Das Gastgewerbe befindet sich in einer schweren wirtschaftlichen Krise, die durch die wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie und die geopolitischen Auseinandersetzungen in der Ukraine in vielfältiger Hinsicht verursacht wurde. Aufgrund des starken Servicecharakters und der Einkommenselastizität im Konsum gastronomischer Leistungen musste diese Branche erhebliche Umsatzeinbußen hinnehmen. Kaum eine andere Branche in der deutschen Nachkriegsgeschichte sah sich derart fundamentalen staatlichen Eingriffen in ihr Geschäftsmodell ausgesetzt. Im Folgenden möchten wir einige Aspekte der aktuellen Situation in dieser Branche beleuchten:

  1. Fachkräftemangel und Arbeitsmarkt: Aufgrund der zahlreichen Covid-19-Schutzmaßnahmen hat das Gastgewerbe seinen Ruf als zuverlässiger Arbeitgeber vorübergehend verloren, was zu einem Abwanderungstrend von Fachkräften in andere Branchen geführt hat. Die Branche arbeitet hart daran, ihr Image als Arbeitgeber wiederherzustellen. Dennoch sehen sich viele Betriebe aufgrund des Fachkräftemangels gezwungen, ihre Öffnungszeiten zu reduzieren oder Veranstaltungen abzusagen.
  2. Inflation und Lebensmittelpreise: Die Energiekrise und die damit verbundene Inflation haben zu erheblichen Preiserhöhungen bei Lebensmitteln geführt, während die Konsumneigung in der Gastronomie stark gesunken ist. Erste Analysen zeigen, dass die Umsatzrendite derzeit bei Personengesellschaften bei etwa 8% und bei Kapitalgesellschaften bei 4% liegt. Für viele Familien ist ein Restaurantbesuch aufgrund der gestiegenen Preise zu einem Luxusgut geworden.
  3. Anstieg der Personalkosten: Die Personalkosten sind bereits im letzten Jahr aufgrund des Mindestlohns stark angestiegen und werden im Herbst nochmals um 20% zunehmen. Dieser Kostenanstieg betrifft insbesondere Fachkräfte, da sich hier ein exponentieller Effekt aufgrund des Mindestlohns sowie höhere Lohnforderungen der Bewerber aufgrund des Wettbewerbs auf dem Arbeitsmarkt zeigt.
  4. Konsumzurückhaltung in Ferienregionen: Trotz guter Buchungslage in Hotels und Ferienwohnungen findet der Urlaub nicht mehr so häufig in der Gastronomie statt. In dieser Saison wird erwartet, dass die Gastronomieumsätze erneut deutlich sinken. Erste Analysen deuten auf Umsatzrückgänge von bis zu 20% in Ferienregionen hin.
  5. Erschöpfte Reserven: Viele Unternehmen in der Gastronomie wurden als Personengesellschaften geführt und haben kaum noch Kapitalreserven.
  6. Verzögerung bei der Bearbeitung von Corona-Hilfen: Die Bearbeitung der Corona-Hilfen verzögert sich erheblich, was dazu führt, dass viele Unternehmen seit über 12 Monaten auf die Auszahlung ihrer Guthaben warten. Zudem sind bereits viele Rückzahlungsforderungen anfechtbar aufgrund nachträglicher Änderungen und ungenauer Rahmenbedingungen. Diese Unsicherheit erschwert die Finanzplanung erheblich.
  7. Tilgung von Liquiditätskrediten: Viele Unternehmen haben begonnen, ihre Liquiditätskredite zurückzuzahlen, wobei die Tilgung aus versteuertem Einkommen erfolgen muss. Die Forderungen des Verbandes für die Zulassung von Sonderabschreibungen zur Tilgung coronabedingter Liquiditätskredite sind bislang ungehört geblieben.

Aufgrund der schwerwiegenden Einschränkungen, die das Gastgewerbe während der Covid-19-Pandemie und der geopolitischen Auseinandersetzungen erlebt hat, ist es von existenzieller Bedeutung, den ermäßigten Steuersatz von 7% auf Speisen- und Verpflegungsleistungen beizubehalten. Die gesamte Branche hat bereits fast drei Jahre in einer anhaltenden Krise verbracht und wird voraussichtlich mindestens weitere zehn Jahre benötigen, um wirtschaftliche Stabilität wiederzuerlangen. Die finanziellen Grundlagen vieler gastronomischer Unternehmen sind bereits erheblich geschwächt. Es ist besorgniserregend festzustellen, dass im Jahr 2020 und 2021 bundesweit 35.845 gastronomische Unternehmen ihre Betriebe einstellen mussten (Statistisches Bundesamt, März 2023). Eine Rückkehr zur regulären Umsatzsteuer würde darüber hinaus die Existenz von 2.056.344 Voll- und Teilzeitarbeitsplätzen im Jahr 2022 erheblich gefährden. Dies betrifft nicht nur die finanzielle Sicherheit der Arbeitnehmer, sondern auch die Stabilität des Arbeitsmarktes. Allein 3,3% aller Ausbildungsplätze in Deutschland für das Jahr 2022 könnten dadurch gefährdet sein. Neben diesen drängenden ökonomischen Argumenten gibt es weitere zwingende Gründe, den reduzierten Umsatzsteuersatz beizubehalten. Dieser Schritt ist entscheidend, um die Gastgewerbebranche in dieser langanhaltenden Krise zu unterstützen und sicherzustellen, dass sie ihre Rolle als wichtiger Wirtschaftszweig behalten kann. Im Folgenden nennen wir nicht abschließend folgende Punkte:

  1. Staatliche Unterstützung: Zur Stärkung der Gastronomie wurden über 6 Mrd. Euro an Pandemiehilfen ausgezahlt, und weitere Liquiditätskredite und Investitionshilfen wurden durch öffentliche Sondervermögen auf Bundes- und Landesebene finanziert. Nach ersten Schätzungen belaufen sich diese Zahlen auf über 35 Mrd. Euro. Eine Rückführung der reduzierten Umsatzsteuer könnte die Kapitaldienstfähigkeit gefährden und den Steuerzahler mit hohen Ausfällen belasten.
  2. Umsatzentwicklung: Obwohl die Branche in diesem Jahr wieder Umsätze auf Vor-Corona-Niveau verzeichnet, beträgt die reale Umsatzentwicklung im Gastgewerbe für die letzten 12 Monate minus 10,4% (nominell plus 7,9%, Dehoga 2023). Dies bedeutet, dass bei steigenden Kosten die Ertragslage erheblich gelitten hat, was sich negativ auf die Investitionskraft für nachhaltige Projekte auswirkt.
  3. Verzögerung bei der Auszahlung von Hilfen: Viele Unternehmen, die von unseren Mitgliedern betreut werden, haben die Coronahilfen mit Ist-Zahlen beantragt. Dennoch wurden ihre Guthaben selbst nach 14 bzw. 8 Monaten (je nach Programm) noch nicht ausgezahlt, was diese Unternehmen bereits an ihre finanziellen Grenzen gebracht hat.
  4. Wirtschaftliche Bedeutung: Das Gastgewerbe trug im Jahr 2019 mit 3% zum Bruttoinlandsprodukt bei. Besonders wichtig sind die Effekte des Gastgewerbes auf die gesamte Wertschöpfungskette. Laut Economica zieht jeder Arbeitsplatz in der Gastronomie einen halben Arbeitsplatz in anderen Branchen nach sich, und der induzierte Umsatz durch das Gastgewerbe beträgt 0,89 Euro. Ein Rückgang der gastronomischen Unternehmen hätte weitreichende Auswirkungen, insbesondere auf nachhaltige landwirtschaftliche Produkte, die in der Gastronomie eine Chance der Direktvermarktung finden. 
  5. Arbeitsintensivität und Beschäftigung: Das Gastgewerbe ist arbeitsintensiv, wobei die Personalkosten im Durchschnitt 33,7% des Umsatzes ausmachen. Die Branche stellt 7% aller Ausbildungsplätze zur Verfügung und bietet Arbeitsplätze in verschiedenen Qualifikationsgruppen. Insbesondere der hohe Frauenanteil und die Bedeutung des Gastgewerbes in ländlichen Regionen machen es zu einem zentralen Arbeitgeber. Ein weiterer Rückgang der Branche hätte erhebliche Auswirkungen auf verschiedene Beschäftigungsgruppen.
  6. Mittelständische Prägung: Das Gastgewerbe ist überdurchschnittlich mittelständisch geprägt. Die Inhaber und ihre Familien haben erhebliche Eigenkapital in ihren Betrieb investiert, und ein Verlust des Unternehmens könnte für viele Familien soziale Armut bedeuten. Gleichzeitig sind die Reserven begrenzt, um weitere Verluste aufzufangen.
  7. Internationale Wettbewerbsfähigkeit: In 17 von 28 EU-Ländern existiert ein reduzierter Umsatzsteuersatz für die Gastronomie, insbesondere in den Hauptreiseländern der Bundesbürger. Eine Rückkehr zum vollen Umsatzsteuersatz würde die internationale Wettbewerbsfähigkeit erheblich beeinträchtigen.
  8. Ungleiche Wettbewerbsverzerrungen: Eine Rückkehr zum vollen Umsatzsteuersatz würde auch zu nationalen Wettbewerbsverzerrungen führen, da der Wertschöpfungssprung zwischen dem Einkauf von Lebensmitteln und dem Vollangebot in einem Restaurant mit 12% bereits vor der Corona-Pandemie als zu hoch empfunden wurde. Dies war bereits eine langjährige Forderung zur Beseitigung dieser Ungleichheit im Wettbewerb.

Das Gastgewerbe erfüllt eine bedeutende Rolle als die Visitenkarte einer Region und eines Landes. Es trägt maßgeblich zur Lebensqualität der Bürger bei und spielt eine entscheidende Rolle in Bezug auf die Standortqualität für die deutsche Wirtschaft. Als eine Art öffentliches Wohnzimmer leistet diese Branche einen hohen Beitrag zur Pflege des sozialen Zusammenhalts und zur Bewahrung eines nationalen kulturellen Erbes. Vor diesem sozialen Hintergrund und angesichts der zahlreichen Arbeitsplätze, die von dieser Branche abhängen, ist es von größter Dringlichkeit, Planungssicherheit für das Gastgewerbe zu schaffen.

Die in Aussicht gestellten steuerlichen Erleichterungen in Bezug auf gewinnabhängige Steuern sind für das Gastgewerbe nicht ausreichend zielführend. Die Beendigung des reduzierten Umsatzsteuersatzes von 7% und die damit verbundene Abnahme des Konsums gefährden die Rentabilität und die Kapitaldienstfähigkeit dieser Branche erheblich. Das Abwarten bis zur nächsten Steuerschätzung im November 2023 zeigt, dass auf politischer Ebene oft wenig Verständnis für die Geschäftsmodelle des Gastgewerbes vorhanden ist. Der Tourismus und die Planung von Veranstaltungen erfordern oft einen Vorlauf von mindestens 12 Monaten. Die offene Frage und Unsicherheit bezüglich der Steuersituation hat bereits jetzt erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen auf die Branche und ist despektierlich gegenüber der Branche.

Vor dem Hintergrund all dieser Argumente und Zusammenhänge fordern wir nachdrücklich, die Reduktion der Umsatzsteuer auf Speisen und Verpflegungsleistungen von 7% dauerhaft zu entfristen. Eine Rückkehr zum vollen Steuersatz würde auch bedeuten, dass sich die Preise im Bereich der Verpflegungen in den Schulen und Kindergärten erhöhen müssen. Die Ausgabe in diesen Institutionen ist häufig mit einer Dienstleistung der Verteilung verbunden. Der soziale und wirtschaftliche Schaden, der mit einem Wegfall dieser Steuererleichterung einhergeht, ist zu hoch. Zudem ist es aus heutiger Sicht unwahrscheinlich, dass ein höherer Steuersatz zu Mehreinnahmen führen würde, da der Konsumrückgang spürbar wäre.

Für etwaige Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung und danken Ihnen für die Aufmerksamkeit, die Sie diesem Schreiben und somit der Branche entgegengebracht haben.

Mit freundlichen Grüßen 

sign

Dr. Hartmut Meyer
Mitglied des Bundesvorstandes 
Vorsitzender Fachgruppe Gastronomie und Hotellerie
Die KMU-Berater – Bundesverband freier Berater e.V.

dr hartmut meyer - KMU-Berater